Katalog zum Projektkurs

Fotografie als Waffe – Fotografie als Kunst oder Was ist Fotografie heute?

„What world does a photograph show? Is it a record or a work of art? What is the work that unites light, time and the visible world?” (Daido Moriyama)“

Fotografie als Waffe – Fotografie als Kunst oder Was ist Fotografie heute?

Das Thema des Projektkurses „Fotografie als Waffe, Fotografie als Kunst“ führt unweigerlich zur Frage der Definition dieses Mediums. Diese Definition scheint heute, auch durch die neue Flut an KI-generierten Bildern und die umfassend bildlich dokumentierten Kriege und Konflikte der Gegenwart fragiler und dringlicher denn je zu sein. Selbst ohne diese Entwicklungen steht die Frage im Raum, wie es mit dem Medium Fotografie weitergeht und wo möglicherweise die Grenzen seiner Definition und seiner Wirkmacht liegen. Unser Projektkurs mit seiner Ausstellung versucht Antworten zu finden.

Wir haben uns zunächst gefragt: Was ist eigentlich Fotografie heute?

Die Fotografie ist die Kunst mit Licht zu malen. Sie ist eine Möglichkeit, einen Moment festzuhalten und ein Weg zur kreativen Selbstdarstellung, aber auch immer Ausdruck von Emotionen. So zielen sowohl die Fotografie als Waffe als auch die Fotografie als Kunst darauf ab, die Emotionen des Menschen zu erreichen. Während die Fotografie als Kunst dabei eher auf die inneren Prozesse des Menschen abzielt und den Menschen in seinem Inneren berühren, vielleicht sogar zur Sublimierung bringen könnte, bezweckt die Fotografie als Waffe, den Verstand des Menschen zu erreichen und seine Meinung zu verstärken oder diese vielleicht sogar zu verändern. Damit ist die Fotografie also auch – und das seit ihrer Erfindung – Medium der Kommunikation, die einen Sender und einen Empfänger benötigt. Als Kommunikationsmittel transportiert sie unterschiedliche Ideen und Botschaften, die auf uns wirken: Vom reinen Informationsmedium bis zum Propagandamittel (Fotografie als Waffe) einerseits hin zur eigenständigen künstlerischen Kategorie andererseits (Fotografie als Kunst). Die Fotografie ist damit auf allgemein lesbare Codes angewiesen, damit sie ihre unterschiedlichen Möglichkeiten entfalten kann: zu informieren, zum Nachdenken anzuregen und unsere emotionale Ebene zu berühren.

Darin liegt ihre Wirkmacht, aber auch ihre Gefahr gerade in der erst einsetzenden Epoche der Bilderzeugung durch KI: Digitale Manipulationen bis hin zu politisch eingesetzten Fakes. Das fordert uns heraus, die Fotografie und ihren Impakt zu begreifen, immer wieder neu zu bewerten wie Fotos auf uns wirken, wie sie zu und mit uns sprechen und welche Vorgänge sie in uns, auch unbemerkt auslösen. Denn neben den bewussten Lesarten transportieren Fotografien immer auch unbewusste Botschaften – etwas Magisches, nicht sofort begreifbares – was ihr eine besondere Art von Macht verleihen kann. Walter Benjamin meint dazu:„Aller Kunstfertigkeit des Photographen und aller Planmäßigkeit […] zum Trotz fühlt der Beschauer unweigerlich einen Zwang, in solchem Bild das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, zu suchen, mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchgesengt hat.“

Und weil kein anderes Medium stärker die Geschichtlichkeit eines Augenblicks zum Ausdruck zu bringen vermag, kann vor allem die Fotografie diese unbewussten Codes, diese Magie übertragen.

Genau so wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass eine Fotografie sich schon immer gerade im Spiel zwischen den beiden Polen (Fotografie als Waffe – Fotografie als Kunst) verorten lässt. Genau das macht das Medium Fotografie, spätestens seit sie als eigene Kunstrichtung gilt (oder wenn man sie als zeitgenössische Kunstform verstehen will) so spannend. Schon immer, lange vor der KI, wurde sie zum Erfinden von Bildwirklichkeiten, die lediglich wie Dokumentation aussehen, herangezogen. (vgl. Sugimotos Fotografien aus dem Wachsfigurenkabinett, die wie echte Portraits bekannter Persönlichkeiten wirken und Bilder aus dem American Museum of Natural History in New York, die auch aus Geo hätten stammen können.) Wir dürfen und können von diesem Medium, egal ob Fotografie oder KI-Bilderzeugung, also keine reine Objektivität erwarten. Der Betrachter muss das Bild stets deuten, ohne sich auf ein Wirklichkeitsvorbild verlassen zu können und bereit sein, sich auf das Spiel mit Realitäten einzulassen.

Wie haben die Fotografinnen und Fotografen das heute im Jahr 2024 umgesetzt?

Zunächst mussten sich die Fotografinnen und Fotografen entscheiden, ob sie sich des Themas „Fotografie als Waffe“ oder des Themas „Fotografie als Kunst“ annehmen wollen oder ob es vielleicht sogar Mischformen davon gibt? Eine andere Entscheidung war die, ob sie das Thema mit klassischer Fotografie bearbeiten wollen oder mit Hilfe von KI?

Während einige der Arbeiten klar zuordbar scheinen, sind andere Arbeiten nicht so klar zuzuordnen und entziehen sich einer klaren Einteilung. Sie betreten quasi eine Grauzone zwischen den Kategorien und Genres. Selbst bei der Wahl zwischen KI und Fotografie sind die Grenzen fließend. Denn wenn mit Hilfe von KI erzeugter Bilder Bezug auf berühmte Fotografien aus der Geschichte genommen wird, ist ihre Erzeugung selbst zwar nicht mit Licht entstanden, aber zumindest ihre Vorlage. Wir möchten daher den Betrachter einladen selbst zu entscheiden, welche der Arbeiten eine „Waffe“ und welche „Kunst“ ist oder ob die Unterscheidung vielleicht gar nicht so zielführend ist, da die Erzeugung von Bildwelten am Ende immer auch mit den Emotionen der Erzeuger und Erzeugerinnen und den Betrachtenden zu tun hat und diese vielleicht im Vordergrund stehen. Oder anders gesagt: Es bleibt dem Betrachter der Bilder überlassen, die zu Eingang gestellte Frage von Moriyama selbst zu beantworten und dabei auf je unterschiedliche Antworten zu kommen.